Samstag, 29. Februar 2020

Mit dem Motorrad im Norden Vietnams / Vietnam #2


Nach meiner Ankunft in Hanoi habe ich nach ein paar Gesprächen im Hostel beschlossen, die nächsten vier Tage im Norden Vietnams zu verbringen. Die meisten Reisenden, die ich getroffen habe, waren schon eine Weile unterwegs und haben mir die Route wärmstens empfohlen. Da ich mich selbst nicht als die kompetenteste Motorradfahrerin bezeichnen würde, habe ich kurzerhand eine Tour im Hostel gebucht. Das Ziel war die Region um Ha Giang, die sich durch eine Art Hochland bis an die Grenzen von China zieht. Neben atemberaubender Landschaft ist die Gegend für unterschiedliche Subpopulation mit sehr verschiedenen ethnischen Hintergründen bekannt. 




Mit dem Nachtbus ging es dann in die Stadt Ha Giang, wo unsere kleine Reisegruppe zusammengekommen ist. Neben mir waren das zwei Mädels aus den Niederlanden und Juan aus Argentinien. Die Nachtbusse sind erstaunlich komfortabel - statt Sitzen gibt es eine Art Bett mit Decke und Kopfkissen. Das würde in Deutschland zwar aus dem Verkehr gezogen werden, hier in Vietnam hat es allerdings die 9h Fahrt erträglich gemacht, auch wenn ich im Vergleich zu den eher kleinen Vietnamesen etwas zu lang für die Betten bin. Nach sehr wenig Schlaf und einer kurzen restlichen Nacht in einem weiteren Hostel haben wir dann unsere Driver kennengelernt - vier Jungs aus der Gegend, die jeder mit einem Motorrad ausgestattet waren. Mein Driver heißt Dun und hinter seinem Rücken habe ich quasi die nächsten drei Tage verbracht. Dun spricht nicht sonderlich gut Englisch, hat aber abends emsig versucht, mit einer App Wörter wie "chicken" und "pork" zu lernen. Einer der vier Jungs, der gleichzeitig auch den Guide darstellte, war aber sehr flüssig im Englischen.



Die Landschaft ist - wie ihr auf den ersten Fotos bereits sehen könnt - atemberaubend. Spitz zulaufende Gipfel, begrünte Flächen und dünn besiedelte Täler. Vereinzelt bestellt ein Mann mit einem Pflug hinter einer Kuh das Feld. Mit dem Wetter hatten wir leider weniger Glück - auch in Vietnam ist es im Winter kühler, zumindest in Nordvietnam. Dicke Regen- und Nebelwolken hingen über den Gipfeln und wir konnten teilweise kaum das voran fahrende Motorrad ausmachen. Es war natürlich auch ganz schön frisch auf dem Motorrad in immer nässer werdenden Sachen, aber das hat unsere Laune zum Glück kaum getrübt. Wir sind auf einer Art Loop unterwegs gewesen und ich habe aufgegeben die zahlreichen Wechsel zwischen Bergen und Tälern zu zählen, die wir überquerten. 



Das Interessanteste aber war das Bergvolk der Hmong, das Teile Nordvietnams, Südchinas und Laos bewohnt. Die Menschen leben nach unseren Vorstellungen wohl im 18. Jahrhundert. Es wird Subsistenzwirtschaft betrieben, das heißt der eigen produzierte Sack Reis wird gegen ein Stück Fleisch des Nachbarn getauscht, anstatt einen Laden zu errichten. Die Landwirtschaft ist essenziell für das eigene Überleben. Die Frau wird auf vielfältige Weise unterdrückt: Die Schwiegertochter darf nicht mit dem Schwiegervater sprechen, nicht am selben Tisch essen und wenn sich der Schwiegervater auf einen Stuhl setzen möchte, auf dem die Schwiegertochter zuvor saß, muss dieser zunächst umgetreten werden. Polygynie ist eher die Norm als die Seltenheit, besonders wenn die Frau keine Söhne gebärt. Die Kinder kennen keine Schulen und sind somit Analphabeten. Einige Mütter haben das Potenzial des zunehmenden Tourismus erkannt und schicken die Kinder mit bunten Blumenkörben los, damit die Touristen gegen ein wenig Geld ein Foto schießen können. Ein Entkommen gibt es nicht, kaum jemand hat etwas fern der Grenzen des nächsten Nachbardorfes gesehen. 
Das Leben ist sehr einfach, gekocht, gegessen, gelebt und geschlafen wird am selben Ort. Der Herd ist eine Feuerstelle, die Vorräte und die Tiere werden im Nachbarzimmer gehalten. 
Wenn eine Person stirbt, wird ihr Leichnam vor dem Haus aufbereitet. Freunde und Verwandte des Dorfes kommen, um sich von ihm zu verabschieden und es wird Essen in den Mund des Toten gestopft. Nach 5 Tagen wird die mittlerweile übel riechende Leiche angehoben und über die Felder getragen, solange bis die Leichenträger stolpern. An diesem Platz wird der Tote vergraben, sei es mitten im Reisfeld oder auf einem steinigen Berg. 




Die Nächte haben wir in einfachen Häusern bei lokalen Familien verbracht. Es gab eine leckere Ansammlung von Essen, was hier als "family dinner" bekannt ist. Alle sitzen auf dem Boden um das Abendessen und schaufeln die Köstlichkeiten mit Stäbchen in eine kleine Schüssel mit Reis. Dazu gibt es selbstgebrannten Reiswein, den man mit anderen Personen zusammen trinkt. Nach jedem Shot bedankt man sich bei seinen Trinkpartnern und schüttelt sich die Hand. Alles ist sehr gesellig, offen und gastfreundlich. In meinem Bett erwartete mich am zweiten Abend eine Ratte, aber selbst das irritierte mich kaum - die Locals leben schließlich Tag für Tag so einfach.
Unser Guide hat uns all die spannenden Dinge über die Hmong erzählt. Er selbst ist Teil einer anderen Subpopulation - den Thai. Seine Familie lebt in Ha Giang und er hat es als einer der wenigen "raus" geschafft. Das Tourismusgeschäft ist lukrativ und er verdient genug Geld um seine kleine Familie zu ernähren. Er zeigte uns Foto von Frau und Kindern und lächelte bei dem Gedanken an sie. Dafür arbeitet er allerdings - wie jeder Vietnamese - sehr hart. Wenn er Glück hat sieht er seine Familie einen Tag in der Woche, die restlichen Tage ist er mit dem Motorrad und den Touristen unterwegs. Auf dem nächsten Foto könnt ihr zwei unserer Driver sehen - der letztere war "meiner".









Das Coronavirus hinterlässt natürlich besonders hier im Norden seine Spuren. Während ich diese Zeilen tippe ist die Lage vermutlich deutlich drastischer geworden. Bereits letzte Woche wurde die komplette Route für Touristen geschlossen. Ich konnte die Tour allerdings noch genießen. Zahlreiche Menschen, die im Grenzgebiet leben, pendeln zur Arbeit nach Südchina. Da die Grenzen geschlossen wurden, sind sie auf unbegrenzte Zeit arbeitslos. Die Schulen sind natürlich auch hier komplett geschlossen und 24h täglich werden Nachrichten mit dem Lautsprecher in jeder größerer Häuseransammlung, die von Vietnamesen (ausgenommen der Hmong) bewohnt ist verkündet.  









Faszinierend ist, was alles auf einem kleinen Motorbike transportiert werden kann. Das Elefantengras, welches als Kuhfutter verwendet wird, wie auf diesem Bild, ist noch ein harmloses Beispiel. Ich habe auch schon eine ganze Geflügelfarm (Hühner, Gänse, Enten - sucht euch was aus), Baumaterial für ein halbes Haus, Einkaufsläden, fahrbare Sandwich-Stände, mehrere Hunde, alle sechs Kinder (wirklich nicht übertrieben) + Frau auf einem einzigen Bike balancieren gesehen. Das Highlight war ein lebendiges, festgezerrtes Schwein, das geschrien hat als sei es bereits am Spieß.
Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die 4 Tage auf dem Motorrad eine wahre Bereicherung waren. Ich habe so viel gelernt, so viel an meinem eigenen Lebensstil infrage gestellt, bin etwas offener und weitsichtiger geworden und habe atemberaubende Landschaften genießen dürfen. Eindeutig eines der Highlights auf der Vietnam-Reise, trotz der Tatsache, dass aufgrund des schlechten Wetters viele schöne Aussichten von Wolken verdeckt geblieben sind.



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